Mein Wort wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun,
was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.
Jesaja 55,11, Losung am Unglückstag, 2. Februar 2021
Wir trauern um
Mechthild, Pfarrerin i.R. und Dr. Christian Löhr, Pfarrer i.R.
Stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Internationalen
Bonhoeffer-Gesellschaft. Deutschsprachige Sektion
und Vorstands-Mitglied im Bonhoeffer-Haus
Christian Löhr hat, vertraut mit dem Leben und Gedanken Dietrich Bonhoeffers,
mit wachem Geist und klarem Wort der Freiheit durch Gottes Wort Raum gegeben.
Prof. Dr. Rosenau, Kiel, Vorsitzender,
Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft. Deutschsprachige Sektion
Gottfried Brezger, Pfr. i.R. und Dr. Tobias Korenke, Vorsitzende,
Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus,
Marienburger Allee 43, 14055 Berlin
Voller Dankbarkeit schauen wir zurück auf die vielen Jahre, in denen wir mit Dr. Christian Löhr in gegenseitigem Vertrauen und Hochachtung im Kuratorium und im Vorstand des Bonhoeffer-Hauses zusammenwirken konnten. In derselben Treue, in der er die Aufgaben im Vorstand der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft. Deutschsprachige Sektion und die mit immenser Arbeit verbundene Verantwortung für die Herausgabe des Bonhoeffer-Rundbriefs übernommen hat, engagierte er sich auch für die Arbeit im Bonhoeffer-Haus. Bei den Beratungen war auf ihn Verlass: er war immer da und hat den Weg von Brandenburg aus nicht gescheut. Zu Veranstaltungen im Haus sind Christian und Mechthild Löhr miteinander gekommen, zuletzt am 9. November 2020 zum Gedenkweg in der Nachbarschaft des Bonhoeffer-Hauses.
In aller Bescheidenheit hat Christian Löhr in den Vorstandssitzungen Protokoll geführt. Menschlich und theologisch waren wir in großer Offenheit und Klarheit miteinander verbunden. Wir haben ihn erlebt als glaubwürdigen, geschichtsbewussten und sprachmächtigen Vertreter von Christen in der DDR mit aufrechtem Gang, intensiv und bis ins kleinste Detail kundig und verbunden mit Bonhoeffers Gedanken, und zugleich frei zur kritischen Wahrnehmung der Gegenwart. Seine geistesgegenwärtigen Predigten, Briefe und Betrachtungen aus dem „Schwellenjahr 1990“, die er Weihnachten 2019 im Eigenverlag zusammengestellt hat, hat er unter die Überschrift gestellt: „In jedem Ende steckt ein neuer Anfang.“
Die Frage nach dem „neuen Anfang“ bleibt für unser Verstehen und Begreifen offen, für Gott nicht, wie wir glauben und worauf wir hoffen und vertrauen können.
So gewiss, wie „Gott bei uns“ ist „am Abend und am Morgen“
und „an jedem neuen Tag“ –
so gewiss werden wir bei Gott sein an seinem jüngsten Tag.
Gottfried Brezger
Christian Löhr
In jedem Ende steckt ein neuer Anfang.
1990
Vorbemerkung, Brandenburg im Dezember 2019
In der jüngsten deutschen Geschichte ist das Jahr 1990 ein Schwellenjahr. Die DDR war in den Ereignissen vom Herbst 1989 endgültig untergegangen Im Herbst 1990 wurde die Vereinigung der beiden Nachkriegsdeutschlands in Form des Beitritts der ehemaligen DDR zur BRD und ihrem Grundgesetz vollzogen. Für einen geschichtlich kurzen Moment von einem halben Jahr schien zumindest für die Bürgerinnen und Bürger auf dem Gebiet der DDR die Zukunft völlig offen …
Die Veröffentlichung dieser Texte heute nach 30 Jahren möchte daran erinnern, mit welchen Befürchtungen und Hoffnungen sich Menschen damals auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machten, was sich davon erfüllt hat und was uns als bleibende Aufgabe und Ziel nach wie vor aufgegeben ist.
Vor uns ein neuer Weg
Silvester 1989, Mitternachtsandacht zum Jahreswechsel 1989/90
Vorspruch
Am Ende dieses Jahres gedenke ich der Taten des HERRn
und sinne nach über alle seine Werke:
Heilig, o HERR, ist Dein Weg!
Wo ist einer wie unser VATER IM HIMMEL,
hoch erhaben über alle und zugleich uns so nahe,
dass er sich kümmert um unser Geschick?
Er hat uns befreit mit seinem mächtigen Arm.
Wir gingen alle in die Irre.
Nacht hatte sich auf uns gesenkt.
Angst drohte uns zu ersticken.
Mit dem Mut der Verzweiflung stimmten unter uns einige den Ruf an,
der uns in die Freiheit führen sollte: „Wir sind das Volk!“
Es wurde ein mächtiger Ruf, weil immer mehr einstimmten,
und damit sich und uns Mut zuriefen, sodass selbst die Münder derer
sich öffneten, die über Jahrzehnte hin geschwiegen hatten.
Ein mächtiger Ruf – und doch ein armes Wort.
Was vermochte es anderes,
als die angemaßte Macht der Herrschenden zu stoppen,
die Macht derer, die wir durch unser Schweigen ermutigt hatten?!
Dabei hätten wir das doch wissen müssen,
wir, die durch das Wort nun zum Leben Befreiten.
Mussten wir wirklich erst durch den Mut der Verzweiflung darauf stoßen,
dass das Wort unseres VATERs IM HIMMEL mächtig ist?
Das jedenfalls ist unsere Schuld am Ende des Jahres:
Weil wir, o HERR, Deinem Wort misstrauten, weil wir anderes für wichtiger hielten, entbehrten wir solange der Freiheit.
Da mussten wir alle in die Irre gehen.
Nun kam die Freiheit über uns durch Dein Wort.
Ja, wir haben gerufen.
Du aber hast dem Worte Macht gegeben,
die Macht des Friedens, die die Gewalt der Herrschenden überwand.
So fiel sie uns zu – die Freiheit.
Noch haben wir den Zufall nicht wirklich begriffen,
aber schon denken wir:
Freiheit – das ist unser Recht, unser Verdienst.
Von anderen wurde sie uns vorenthalten, von denen,
denen nun unser Zorn gilt. Die haben die Freiheit missbraucht.
Nun muss sie ihnen genommen werden und wir müssen sie haben –
die Freiheit.
So gehen wir schon wieder in die Irre.
Ein jeder sieht nur auf seinen Weg, denkt nur an seine Freiheit.
Vergessen ist, dass wir sie uns selbst vorenthalten haben.
Vergessen ist unsere Schuld und dass sie uns zufiel – die Freiheit,
ein Zufall für die meisten unverdient.
Vergessen ist, dass wir uns der Freiheit würdig erweisen müssen,
nachdem wir der Freiheit gewürdigt wurden – aus Gnade,
nachdem uns die Freiheit noch einmal geschenkt wurde.
Am Ende dieses Jahres gedenke ich der Taten des HERRn
und sinne nach über all‘ Deine Werke:
Heilig, o HERR, ist Dein Weg.
Trauerfeier für Mechthild und Christian Löhr
am 4. März, 15 Uhr
in der St. Gotthardt-Kirche in Brandenburg